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 SABINE'S GESCHICHTEN und ANEKDOTEN
PSB MV Offline

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Beiträge: 62

16.02.2006 13:20
Gedanken zum Bundeschampionat Zitat · Antworten

Verfasst am: Mi Jan 25, 2006 Titel: Nachdenkliches zum Bundeschampionat

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Hengstkarussell am Bundeschampionat

Die Fachzeitschriften kennen allesamt zur Zeit nur ein Thema: Das Bundeschampionat! Seitenweise Nominierungen und Qualifikationen der jungen Verbandshoffnungen in den Mitteilungsblättern der Züchtervereinigungen. Pferdenamen, Pedigrees, Züchternamen, Reiternamen. In jeder Zeile verbirgt sich die Hoffnung auf die Schärpe.

3-6 Jährige Reitpferde und Ponies treten an diesem ersten Wochenende im September in Warendorf in Aufbau- und Basisprüfungen bis M gegen einander an und legen die Meßlatte für die deutsche Zucht. Die schnelllebige Zeit kann auch den Jüngsten die Zeit des Wachsens und Reifens nicht mehr gönnen. Zu groß ist der finanzielle Aufwand den Dreijährigen einen weiteren unbeschwerten Sommer in der Herde zu ermöglichen. Der Markt bezahlt nicht für unfertige, unbemuskelte Jungpferde, deren Proportionen noch nicht stimmig und deren Weidebäuche als unschön empfunden werden. Gerittene Pferde, hübsch im Lack, mit Perspektive für den Sport, turniererfahren und auch bitte noch platziert, finden eher einen Käufer. Meist lohnt der Preis dann trotzdem nicht die Aufzucht, aber es steht ein Fresser weniger im Stall.

Vielleicht sind es mehr Züchter, als man glaubt, die ihren jungen Nachwuchs mit einem Lachenden und einem weinenden Auge nach Warendorf entsenden. Vielleicht schaut auch ein mancher betreten weg, wenn ihn der Blick seines Pferdes trifft. Wer gibt uns das Recht ihre Kindheit nach zwei Jahren zu beenden? Wer schreibt uns vor ihnen so früh schon ihre Unschuldigkeit zu nehmen und ihnen Sattel und Zaum auf zu zwingen? Missbrauchen wir nicht das in uns von ihnen gesetzte Vertrauen, wenn wir sie, um einen besseren Preis für sie zu erzielen, ins Ungewisse schicken?

Wer Geld mit oder an Pferden verdienen will, darf nicht sentimental sein. Wann hört die Achtung vor dem uns anvertrauten Leben auf – wann fängt Sentimentalität an?

Der Pferdemarkt belohnt nur noch den Erfolg. Wer trotzdem verkaufen will oder muss, der teilt sich die Kunden mit dem Osten, der EU-Erweiterung sei Dank, wahre Pferdeschwemmen in ein Deutschland schickt, das mit Wirtschaftsflaute und Arbeitslosenzahlen kämpft.

Und noch ein Treffer konnte die europäische Union erzielen, als sie das Pferdeverkaufsrecht an die Richtlinien anpasste, die sie festlegten. Zwei Jahre Rückgaberecht des Käufers für ein Pferd, mit dem er nicht zufrieden ist und Schadensersatzpflicht können einen kleinen Züchter um Haus und Hof bringen. Wen also wundern die rückläufigen Bedeckungszahlen in der deutschen Zucht und die Mutlosigkeit der Stutenhalter?

Doch wenn Warendorf die Pforten für das Championat öffnet, werden solch trübe Gedanken gerne mal zur Seite geräumt. Hier entscheidet sich in Viereck und Parcours, wer Top ist und wer Flop. Das Hengstkarussell dreht sich um dieses Turnier, bei dem zunehmend mehr junge Vererber um die Titel kämpfen. Waren noch vor Jahren auch Hengste zur Zucht frequentiert, die keine sportlichen Lorbeeren sammelten und durch Exterieur und Pedigree und last not least auch durch erfolgreiche Nachzucht brillierten, zählt heute vor allem die Gewinnsumme.

Kraftstrotzende Pferdejünglinge auf dem Laufsteg der Reitpferdeprüfungen stehen hier mit im Zentrum des Interesses. Vor einem Jahr gekört, gilt es hier das Ergebnis der diesjährigen Hengstleistungsprüfung zu untermauern oder zu revidieren.

Unter all dem Protz und Glanz können sie aber ihre Jugendlichkeit nicht verstecken. Die Anstrengungen des vergangenen Jahres belasten die jungen Hengste mental doch sehr.

Schon im August zur Musterung traten sie ins Licht der Öffentlichkeit. Die Kindheit und die letzte Weidesaison endete für die meisten schon im Mai. Die Unbeschwertheit ihrer gleichaltrigen Pferdebrüder und Schwestern ist ihnen längst abtrainiert, wenn sie vor die Kommission treten, die entscheidet: körfähig oder nicht.

Die Glücklicheren sind wohl zunächst die, die keine Gnade vor den Augen der gestrengen Herren finden. Verlieren sie zwar meistens ihre Männlichkeit, bleibt ihnen aber doch das intensive Training noch erspart. Der eine oder andere darf vielleicht als Wallach noch einmal auf die Wiese.

Die Auserwählten hingegen verbringen das kommende Vierteljahr so zu sagen als Vorgeschmack auf ihre Zukunft, unter Decken und Bandagen und werden wie Athleten gefüttert und trainiert.

Wo Longenarbeit und die Führmaschine die Muskulatur nicht wachsen lassen, hat mancher Besitzer keine Skrupel den Traum vom selbstgezogenen Gekörten auch mittels Spritze zu verwirklichen. Und so wundert man sich nicht, wenn Sätze wie:„Wenn mein Tierarzt es nicht schafft, dass mein Hengst gekört wird, dann ist es Zeit den Tierarzt zu wechseln!“ fallen. Ein schlechtes Gewissen dem Pferd gegenüber, haben anscheinend die wenigsten.

Ende Oktober bis Anfang Dezember haben sie dann ihre großen Auftritte, die „jungen Wilden“, die gar nicht mehr wild sind, sondern brav wie die Messdiener vor fachkundigem Publikum drei Tage lang vom Pflaster traben zum freispringen und freilaufen zum Mustern und traben an der Hand geführt werden. Runde um Runde schreiten sie hintereinander her. Keiner zettelt einen Streit an, keiner versucht hier seine Position zu stärken, obwohl sie noch im Jahr davor den Konkurenten mit Nackenbissen in die Knie zwangen, wissen sie, nun ist der Mensch am anderen Ende des Zügels der Chef im Ring, dem es sich unter zu ordnen gilt.

Am dritten Tag hat sich die Spreu vom Weizen getrennt. Während die ersten Jünglinge schon wieder zuhause beim enttäuschten Besitzer ihren Hafer fressen, werden nun Prämien und Titel an die Besten der Besten verteilt. Die letzte Ehrenrunde gehört dem Siegerhengst.

Meist folgt nun die Auktion der Hengste. Einige wechseln nun noch mal den Stall. Und die Euronoten den Besitzer. Was mag in diesem Pferdejungen vorgehen, der sich seiner Zukunft ungewiss, die Rampe des Transporters hochsteigt, in dem es ganz und gar nicht heimisch riecht?

Im Januar des Folgejahres sind nun alle Hengste stationiert und werden vom Personal der Hengsthalter oft schon unterm Sattel präsentiert. Bedenkt man, dass viele dieser Tiere erst im April oder Mai geboren wurden und das dritte Jahr noch nicht vollendet ist, ist schnell klar, dass hier nur die Harten weiter kommen.


Weiter kommen bedeutet nun erst einmal die Hengstleistungsprüfung schaffen. Die ersten Termine für die Dreißig-Tage-Veranlagungstests sind bereits im März, damit die Hengste rechtzeitig zur Decksaison den Pferdedamen zur Verfügung stehen. Schließlich misst sich ein Vatertier an seiner Nachzucht und die bislang entstandenen Kosten sollen möglichst schnell in Form von Deckeinnahmen kompensiert werden. Ein Hengst ist eine nicht unerhebliche Investition.

Nachdem der Youngster neben seinem Hengstabitur nun auch seinen Vaterpflichten nachgekommen ist, endet seine erste Decksaison Ende Juli. Nun muss er, hat er am 30-Tage-Test erfolgreich teilgenommen, entweder eine Nominierung seines Verbandes zum Bundeschampionat ergattern oder den 70-Tage-Test bestehen, ansonsten verliert er nach der zweiten Decksaison vorläufig die Lizenz zur Zucht, bis er entweder die „Quali“ schafft oder die 70-Tage-HLP.

Was einfacher ist, soll hier keine Beurteilung finden. Die psychische Anstrengung ist wohl gleich hoch für das junge Pferd, das jetzt oftmals gerade seinen dritten Geburtstag hinter sich gebracht hat. Entweder reist es nun zu einer Leistungsprüfungsanstalt, wo es 70 Tage in Gelände, Parcours und dressurmäßig geritten und beurteilt wird oder es profiliert und spezialisiert sich schon jetzt für seine Paradedisziplin und erhält eine Fahrkarte nach Warendorf.

Hat der Besitzer es mit der Deckerei nicht so eilig, und der Sport steht im Vordergrund, hat der Hengst, erreicht er vierjährig in einer der Qualifikationsprüfungen fürs Bundeschampionat in Dressur, Gelände-und Springpferde-prüfungen der Kasse A eine Wertnote von mindestens 8.0, die Lizenz zum Decken. Damit gilt die HLP als bestanden. Der Hengst darf sich auch in Zukunft in Form von Samen weitergeben.

Die 70-Tage-Absolventen dürfen sich im übrigen auch den Veranlagungstest sparen, wenn ihr Ziel nicht das Championat ist. Allerdings gilt ihre Deckerlaubnis erst nach bestandener Prüfung, was heißt: ist der Hengst von Mai bis Mitte Juli im Test, fällt die erste Decksaison für ihn aus. Keine Nachkommen im folgenden Jahr – keine Aussage zur Vererbung.

Wie immer sich der Hengsthalter entscheidet, am Ende des ersten Jahres als gekörter Hengst, hat mancher Jungspund eine schlankere Silhouette als im Jahr zuvor und seinen nicht gekörten Altersgenossen manche Erfahrung voraus. Zumindest denen, die nicht als Stute, Wallach oder Hengst auf dem zweiten Bildungsweg, das Ticket nach Warendorf gelöst haben. Denn wer im September dabei sein will, der muss seinen Verband erst überzeugen, damit er ihn auch als Botschafter auf den Vergleichswettbewerb der Zuchtgebiete schickt. Nicht viele sind es die nominiert werden. Aber die wenigen müssen sich bereits, egal ob Wallach, Stute, gekörter oder nicht gekörter Hengst über Landeschampionate oder Sichtungsturniere.
bewiesen haben.

Über allem steht und wacht nun die Deutsche Reiterliche Vereinigung, an der keine Körung, keine Leistungsprüfung und kein Turnier vorbei führt. Sie erstellt die Richtlinie für den Turniersport und die Hengstprüfungen. In ihrem Ermessen lag auch der Entscheid, ob ein noch nicht dreijähriger Junghengst eine Prüfung absolvieren darf. Die FN sagte ja. Und so ist es nun. Die Hengste hat niemand gefragt.

Das große Event in Warendorf, das Schaufenster der Zucht ist jedoch eines der liebsten Kinder der Züchter und Hengsthalter. Es ist der Pulsschlag der die Blutlinien der Zuchtfavoriten für das nächste Jahr festlegt.

Die Dressur ist längst in fester Hand von Donnerhall, Rubinstein und Florestan. Im Springen wechselt die Spitze etwas mehr. Mal Holstein, mal Hannover. Aber bei der Präsenz des Holsteiner Pferdes in den Pedigrees der Springpferde aller Landesverbände und dem Austausch der Zuchttiere untereinander, spielt der Brand für den Züchter keine Rolle. Lediglich die Verbandsoberen schwingen stolz die Fahne, wenn „Ihrer“ gewonnen hat.

Gelände- und Fahrpferde stehen immer ein wenig im Hintergrund. Spezielle Vererber für diese Pferdesportarten gibt es nur wenige und so bedient sich der Markt mal bei den Viereck-, mal bei den Parcoursspezialisten.

Bei den Ponies gelten wieder interne Regeln, denn Reitponyzüchter lassen sich von den „Großen“ sicher nicht die Butter vom Brötchen nehmen.

Der Beifall der Zuschauer auf der Ehrenrunde ist immer verdient, auch wenn sich die Richter und das Publikum nicht immer einig sind. Leistung sollte nicht nur an Wertnoten gemessen werden.

Wenn am Montag die Verbände ihre Champions feiern, wünsche ich, vor allem den Dreijährigen, dass ihnen nun eine Verschnaufpause gegönnt ist. Die Kindheit bringt es ihnen nicht zurück. Auch nicht die Unbeschwertheit der Jugend. Vielleicht aber gibt es ihnen eine Zeit von Jungpferdegerechter Arbeit in der sie das Vertrauen zu ihrem Menschen wiederfinden.

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